Das Wort „Meisterwerk“ ist im Prinzip verbrannt, da die Doom-Metal-Veteranen von MY DYING BRIDE mit dieser Bezeichnung ja schon die eine oder andere Werkschau ihres umfangreichen künstlerischen Schaffens betitelt haben. Mit „The Ghost Of Orion“ haben die Briten, die in den letzten fünf Jahren nach der Veröffentlichung ihres letzten Longplayers „Feel The Misery“ verschiedenen Schicksalsschlägen zu trotzen, vielfältige Veränderungen und Widrigkeiten zu meistern hatten, aber ein wahrhaftiges opus magnum erschaffen, das in wirklich eindrucksvoller Manier als monolithische, organische Einheit auf den Plan tritt und als solche auch seine volle Wirkung zu entfalten vermag.
In den hektischen Zeichen der Drei-Minuten-Songs, der sich minütlich ändernden Playlisten und der hysterischen Hektik beschenken uns MY DYING BRIDE mit einem richtigen Album, das bewusst als Gegenpart dazu konstruiert ist und das uns die Augen und Ohren öffnet für das Pittoreske des Leidens. Zugleich ist es vor diesem Hintergrund auch nur konsequent, dass der Titeltrack ein dreieinhalbminütiges instrumentales Interludium ist.
Schon die erste Single des Longplayers 'Your Broken Shore“ hatte aufhorchen lassen und die Fangemeinde zu intensiven Begeisterungsstürmen veranlasst, ließ sich neben der tiefen doomigen Traurigkeit auch eine gehörige Portion PARADISE-LOSTscher Hymnik vernehmen. Darüber hinaus wurde auch wieder Wert auf die Variation der Vocals gelegt. Emotionale Klargesänge wechseln sich mit infernalen Growls ab, für Gänsehautmomente sorgen außerdem wieder die Violinenparts.
Mitreißende melodiöse Martialität mit dem Hang zur melancholischen Euphorie findet sich in 'To Outlive The Gods'. Etwas ruhiger und gesetzter ist das traurige 'Tired Of Tears', das vor allem durch seine phasenweise Schwerelosigkeit, durch die wehmütigen Leadgitarren sowie durch die emotionalisierenden Streicher punkten kann. In 'The Solace' stellen MY DYING BRIDE erneut unter Beweis, dass reduzierte Instrumentierung und weibliche Vocals mitunter zu äußerst intensiven, tiefgründigen Klangerlebnissen führen, vor allem, wenn man die unverwechselbare, einzigartige Lindy-Fay Hella von WARDRUNA an das Mikrophone lässt. Martialisches Pathos und epische Weite werden in 'The Long Black Land' in einzigartiger Art und Weise miteinander verwoben. 'The Old Land' schließlich übernimmt den Part des zunächst scheinbar rauen, unwegsamen Bergaufstiegs, der dann aber nach bewältigten Strapazen einen unvergleichlichen Blick freigibt. Weltklasse!
Fazit: Allen Widrigkeiten zum Trotz begehen die Doom-Metal-Veteranen von MY DYING BRIDE ihr dreißigjähriges Jubiläum mit einem wahrhaften opus magnum (Meisterwerk). Denn „The Ghost Of Orion“ hebt sich gekonnt von den Vorgängeralben ab, entwickelt dabei aber den genuin eigenen Sound so weiter, dass er trotz aller Traurigkeit, Wehmut, Sehnsucht und Melancholie zu ungeahnter Euphorie führt!