Ich versuche mich einfach mal an einer bildlichen Beschreibung dessen, was auf einen zukommt, wenn man I Don’t Want to See You in Heaven anhört. Man stelle sich einen Nachtmahr vor, der irgendwo zwischen den Dimensionen festhängt – und deshalb flimmert, flackert, zerreißt. Mal sieht man ein Skelettpferd, dann ein verstrahltes Quarterhorse, vielleicht ein Space-Einhorn mit blutverschmiertem Horn.
Doch jedes Mal, wenn man glaubt, erfasst zu haben, was man da eigentlich hört – ist es schon wieder etwas völlig anderes. Und immer dann, wenn man denkt: „Jetzt wird’s gleich wild“, bleibt es für quälende Sekunden fast ruhig. Dieses Spiel mit Erwartung und Irritation macht I Don’t Want to See You in Heaven zu einem frühen Anwärter auf das Album des Jahres.
Genregrenzen? Kennt diese Band nicht – oder hält sie schlicht für überflüssig. Hier treffen post-melodische Synthflächen auf pure Zerstörung, Pop-Sensibilität auf wütendes Gekeife, Emo auf Mathcore-Gewitter. Klingt überfrachtet? Ist es – aber auf eine Weise, die sich vollkommen richtig anfühlt. Wer sich traut, in diesen Taumel hineinzufallen, wird mit einem grinsenden, leicht wahnsinnigen Gesichtsausdruck wieder auftauchen.
Aber der Reihe nach: THE CALLOUS DAOBOYS, gegründet 2016 in Atlanta, veröffentlichen mit I Don’t Want to See You in Heaven ihr drittes Studioalbum – und das erste seit dem gefeierten Celebrity Therapist (2022). Wo der Vorgänger bereits mit stilistischer Vielfalt punkten konnte, treiben sie diesen Ansatz hier auf die Spitze. Das Album ist eine Tour de Force durch emotionale Eskalationen, Breakdowns, überraschende Pop-Refrains und einen ganz eigenen Sinn für Humor und Dramatik.
Gleich nach dem gesprochenen Intro „I. Collection of Forgotten Dreams“ (nicht Teil des ersten Songs, aber atmosphärisch essenziell) bekommen wir mit „Schizophrenia Legacy“ direkt einen Vorgeschmack auf das, was uns erwartet – nämlich ein fettes Riff, das sich mitten ins Gesicht schraubt. Es wird kurz von einem cleanen, radiotauglichen Refrain unterbrochen, bevor sich Jazz-Elemente und ein Saxofon (!) in den Song schlängeln. Natürlich. Was sonst.
Da ich an dieser Stelle nicht zu viel vorwegnehmen will – und eigentlich alles ausnahmslos empfehlenswert ist – hier nur ein paar Songs, um die Vielseitigkeit des Albums noch einmal zu unterstreichen:
„Lemon“ klingt wie ein melancholischer Indiesong mit softem, emotional aufgeladenem Nu-Metal-/Post-Punk-Refrain. Nach all dem Sturm zuvor spielt der Song mit unserer Erwartungshaltung: Wann kommt endlich die nächste Soundexplosion? Doch stattdessen bleibt alles im emotionalen Kippen – und genau das macht ihn so stark.
Kontrast dazu – und mein persönliches Highlight: „Two-Headed Trout“. Hier wird kontrolliertes Chaos auf die Spitze getrieben. Die Band generiert eine Klanglawine, aber nie um der bloßen Überwältigung willen. Stattdessen wird die Energie so klug in einen Songaufbau gegossen, dass trotz aller Dissonanz am Ende alles passt. Und der Breakdown? Grandios. Punkt.
„III. Country Song in Reverse“, das beinahe zwölfminütige Finale, ist dann ein eigener Kosmos. Hier ist noch einmal alles drin: emotionale Tiefe, eruptive Härte, zerbrechliche Passagen, wildes Saxofon, Noise, Ruhe, Schönheit. Ein epischer Abschluss, der noch lange nachhallt – und der alles, was dieses Album ausmacht, in einem letzten Fiebertraum vereint.
I Don’t Want to See You in Heaven fühlt sich an, als würde man in einen Spiegel schreien – und der Spiegel schreit zurück, in zehn Stimmen, gleichzeitig. Und doch ergibt dieses Stimmengewirr ein klares Echo. THE CALLOUS DAOBOYS jonglieren nicht bloß mit Chaos, sie strukturieren es. Hinter jeder klanglichen Entgleisung steckt ein Plan, hinter jeder Eskalation eine dramaturgische Linie. Das Album ist wild, überbordend und fordernd – aber nie ziellos. Es ist ein kontrollierter Kollaps mit rotem Faden, ein mutiges Statement gegen musikalische Konventionen und zugleich ein in sich homogenes Kunstwerk. Wer musikalische Grenzen ausloten will, findet hier kein bloßes Experiment – sondern ein präzise entworfenes Gesamtkonzept im Ausnahmezustand.