Der König ist tot, es lebe der König - Mit Thomas Helm im Interview über Ortnit, Noekk und Athelas
Glück auf, Thomas! Wie bist Du zum Dungeon-Synth gekommen?
Welche Musiker und Alben haben Dich beeinflusst? Was hat Dich dazu bewogen, mit Ortnit selbst ein Projekt zu starten?
Servus Jens!
Ich bin Fan der ersten Mortiis-Alben, das Wongraven-Album muss ich nennen und auch Pazuzu oder Summoning begleiten mich schon lange. Diese Einflüsse sind möglicherweise hörbar, auch wenn ich ja erst 2022 begann etwas zu schreiben, was sich zum Dungeon-Synth zuordnen lässt. Auslöser für dieses Projekt war der Tod meines Vaters, der nicht nur mich, sondern meine ganze Familie tief erschütterte. Es wurde ein Weg diesen Einschnitt zu verarbeiten und meinen Erinnerungen ein Gefäß zu geben.
Mit Ortnit hast Du Dich dazu entschlossen, auf mittlerweile vier Alben – “Ortnit” (2022), “Sidrat” (2023), “Wolfdietrich” (2024) und “Die letzte Fahrt” (2025) – die mittelalterliche Heldensage des “Wolfdietrich”-Epos zu vertonen.
Inspirierte Dich die Sage zum Dungeon-Synth-Projekt, oder war die Musik zuerst da, bevor Du auf den passenden “Story-Unterbau” gestoßen bist? Was fasziniert Dich am “Wolfdietrich”-Epos, in dem König Ortnit ein wichtiger Charakter und Protagonist ist. Die Geschichte weist mitunter Parallelen zum Ring der Nibelungen auf, sie dürfte allerdings den meisten Menschen kaum bekannt sein. Auch ich musste mich erstmal schlau machen und belesen, als ich auf Dein Projekt Ortnit gestoßen bin…
Mein Vater hat mir als Kind ein Buch geschenkt, das unter anderem Teile des Wolfdietrich-Epos enthält, welches er einst als Jugendlicher vermacht bekam. Ich habe sehr viel Zeit in diesem Buch verbracht und der tragische Ortnit war meine Lieblingsfigur. In den letzten Tagen mit meinem Vaters sind wir nochmals darauf zu sprechen gekommen und es war sehr berührend, wie seine müden Augen zu leuchten begannen, als wir über diese Sagenhelden sprachen. Auf dem Weg vom Krankenhaus nach Hause fiel der Entschluss, dass ich mit diesen Geschichten für ihn und mich etwas machen muss.
Etwaige Parallelen zum Nibelungenlied oder ernsthafte historische Ambitionen spielen überhaupt keine Rolle, es ist etwas Persönliches, das sehr weit in mein Leben zurückreicht und in seiner Funktion nur mir dient.
Du bist ausgebildeter E-Musiker bzw. Berufsmusiker. Da dürftest Du im Alltag doch sozusagen “Besseres” gewohnt sein bzw. müsstest Du doch eigentlich einen anderen Anspruch haben, wenn es darum geht, epische Themen wie Heldensagen musikalisch umzusetzen. Was macht für Dich den Reiz aus, eine so große Geschichte mit vergleichsweise simplen und künstlichen Keyboard-Mitteln reduziert umzusetzen. Selbst bei Empyrium arbeitest Du ja mit Schwadorf in einem gänzlich breiteren “Format”.
Wie schon in der vorigen Antwort angedeutet, folge ich den Bildern, die jenes Buch in meinen Kopf eingebrannt hat und gebe diesen Themen/Stücke. Es ist nicht meine Intention etwas zu schaffen, dass sich neben Wagners „Ring“ oder „Lohengrin“ behaupten soll, sondern ich tue etwas für mich, in der Umsetzung, die mir Spaß macht.
Wieviel E-Musik steckt in und in den Kompositionen von Ortnit oder blendest Du deinen professionellen Background beim Dungeon-Synth aus? Gibt es unterschiedliche Herangehensweisen zwischen Deinem beruflichen Umfeld und Deinen Spielwiesen mit Empyrium, Noekk und darüber hinaus?
Die Orchestrierungen die ich vorgenommen habe, speisen sich natürlich aus meinen Erfahrungen in der klassischen Musik, ebenso wie Harmonik und Modulationen. Ich denke da überhaupt nicht in Schubladen oder Genres. Ich folge da ausschließlich meinem Bauchgefühl und verwende, was es meinem Empfinden nach braucht.
Kennen und wissen Deine Kollegen in Deinem hauptberuflichen Umfeld um Deine Vorliebe für Dungeon-Synth? Haben sie jemals Hörproben von Ortnit genossen, wenn ja wie waren die Reaktionen und wenn nicht, was meinst Du, wie würden die Reaktionen darauf wohl ausfallen?
Die meisten Kollegen wissen um meine Betätigungen abseits der Oper und dass sie für mich alle gleichwertig sind. Die Reaktionen sind eher positiv aber sie kommen natürlich auch von Menschen, die mich kennen und verstehen wollen.
Wie vorhin schon erwähnt, dürfte den meisten Hörern und Lesern das “Wolfdietrich”-Epos weitgehend unbekannt sein. Umreiße doch vielleicht noch einmal kurz, worum es dabei geht und an welchen Punkt der Geschichte würdest Du die vier Alben “Ortnit”, “Sidrat”, “Wolfdietrich” und “Die letzte Fahrt” als Kapitel setzen und beschreiben?
Grundsätzlich empfehle ich allen ernsthaft Interessierten, Wikipedia und die vorhandene Fachliteratur, da wie zuvor erwähnt, meine Alben keine fundierten historischen Abrisse darstellen sollen.
Das erste Album hätte ich wohl besser „Wie Ortnit in sein Verderben ritt“ nennen sollen. Er ist ein erwachsener König samt Reich, nur fehlt das rechte Weib zum Glück und so macht er sich auf. Ab diesem Punkt bis zu seinem Tod spielt sich mein erstes Album ab.Das zweite Album ist nach Ortnits Witwe benannt und hat überhaupt keine Handlung dem Wolfdietrich Epos entsprechend. Die Stücke sind am ehesten Trauerphasen, wie Angst, Resignation oder Erstarrung, die auch für mich oder meine Mutter stehen können. „Wolfdietrich“ greift dann wieder die Sage auf, mit dem namensgebenden Helden, der vom Tod Ortnits gehört hat und auszieht den Drachen zu töten und Sidrat zu gewinnen. „Die letzte Fahrt“ ist Wolfdietrichs finale Heldentat der Sage entsprechend, ehe das Alter seinen Tribut fordert.
Alle vier Alben sind mit Orko Productions und Antiq Records auf Kleinstlabels erschienen. Wie bist Du zu und auf Orko gekommen und in welcher Beziehung stehen sie zu Antiq? Gab es andere Optionen wie bspw. alles komplett in Eigenregie durchzuziehen?
Die Eigenregie war natürlich der ursprüngliche Plan, ehe beide Label auf mich zukamen und anboten die physische Veröffentlichung zu übernehmen. Oytun von Orko kenne ich seit unserem ersten Empyrium-Konzert in Istanbul und uns verbindet ein freundschaftliches Verhältnis. Er hat sein eigenes Projekt „Tir“ und gründete nach seiner Umsiedelung nach Sydney sein kleines Label. Als ich ihm schrieb, dass ich an etwas arbeite dass man auch als Dungeon-Synth laufen lassen könnte, war er gleich begeistert und ist sehr engagiert. Wenn man sich kommende Veröffentlichungen von Orko ansieht, dann wird schnell klar, da wächst etwas, was mich für ihn sehr freut.
Leon von Antiq hat mich einfach über Facebook angeschrieben und gefragt, ob er das Thema CD übernehmen kann, da ihm die Alben gefallen.
Die Ortnit-Alben sind “traditionell” als CD- und Tape-Auflage veröffentlicht worden. Was verbindest Du persönlich mit Kassetten? Was macht für Dich den Reiz dieses Formates aus?
Kassetten sind das Medium der Jugend! Aufnehmen, überspielen, tauschen und teilweise sogar handeln. Walkman!!! Batterienot… Nostalgie und Gefühl pur!
Eine Kleinstauflage von Ortnit ist nicht nur zum aktuellen Album “Die letzte Fahrt” in Form einer Special Edition in einer Holzbox samt Aufnäher erschienen. Wie wichtig ist Dir so etwas? Ich persönlich kann es mir rational nur schwer erklären. Wirklich gebraucht wird ein Tape, dass in eine mit dem Covermotiv gebrandete und mit (künstlicher) Schlangenhaut ausgekleideten Holzbox gelegt ist, von niemandem. Aber es sieht schön und stimmig aus und betont die Liebe zum Detail und das Herzblut, dass ich in der Musik wiederfinde und spüre…
Hast Du selbst einen Lieblings-Release daheim in der Vitrine stehen, der Dir eine aufwendige, außergewöhnliche und auch teure Special-Edition wert war?
Es ist mir extrem wichtig, sonst würde es nicht machen und es geht zu keiner Sekunde in all meiner Musik darum, was jemand anderes oder der Markt braucht. Ich investiere Zeit und Energie ausschließlich in Dinge, die mich beleben und bereichern. Dass ich mit Musik das notwendige Geld verdienen kann und Zeit für jede Menge eigene Musik, sowie ein paar andere Interessen habe, ist mein erarbeitetes Privileg.
Wenn sich jemand an den Sachen, die ich gebastelt habe, freuen kann, ist es toll, aber mir ist die gute Zeit, die ich während der Herstellung hatte, der größte Gewinn. Ich hab einige teure Schallplatten, die aber eher kostenintensiv waren, weil ich die Veröffentlichungszeitpunkt übersehen habe oder noch nicht geboren war. Mir reicht ein Medium, die meisten Boxen beinhalten ja oft unterschiedliche Tonträger, dass brauche ich nicht.
Ist die “Wolfdietrich”-Sage nun auserzählt? Wie geht es mit Ortnit weiter?
Tatsächlich ist für Ortnit dieser Sagenteil auserzählt. Ich habe bereits einen neuen Helden erwählt und jede Menge neue Musik ausgearbeitet. Benjamin König hat ebenfalls schon Bilder für mich gemalt und das nächste Kapitel ist vorbereitet.
Mit Athelas ist im vergangenen Jahr ein weiteres tolkien-beeinflusstes Projekt von Dir über Fiadh Productions erschienen. Es ist wie Ortnit ein reines Keyboard-Album, allerdings kein Dungeon-Synth, weil wesentlich bombastischer, orchestraler und rythmischer. Der größte Unterschied ist allerdings, dass Du auf diesem Album auch singst. Was gab den Anstoß zu diesem weiteren Projekt. Was bedeutet Dir Tolkien? Und wo wir gerade beim Thema sind, hast Du den jüngsten Animationsfilm “Die Schlacht der Rohirim” gesehen?
Ich fange mal mit der letzten Frage an. Was seit der Herr der Ringe Trilogie kam hat mich eher zum wegschauen bewogen, mit keiner Ausnahme!
Tolkien ist in meinem Leben täglich präsent, ob ich nun lese/höre oder mir Dokus über sein Leben und Werk anschaue. Es gibt wunderbare Hörbucher und Filme über ihn, die mich immer begleiten. Dass ich dieses Projekt Athelas nennen würde, ist seit Ewigkeiten klar, wegen der Symbolik und der Kraft, die der Professor dieser Pflanze zugedacht hat.
Als ich die Idee für „Warning of Winter“ hatte, schlossen sich die anderen Stücke in ein paar Wochen an und das Album wurde sehr rasch fertig. Bariann von Fiadh liebte es und brachte es heraus. Natürlich kann es im Fall von Ortnit verwundern, dass ein „Sänger“ zu seiner Musik nicht singt. Ich hatte schlicht nicht die Kraft es zu tun, obwohl mir enge Freunde dazu rieten. So kam ich auf die Idee einen Erzähler in die Stücke zu integrieren, was glücklicherweise Marcel Dreckmann von Helrunar übernahm und ich liebe diese Hörspielebene, die er mit seiner großartigen Stimme hineinbringt.
Während Athelas wiederum über Fiadh, einem weiterem sehr kleinem Label aus den USA/Kanada, veröffentlicht wurde, bist Du mit Noekk, Deinem eigentlich “größten” und ältesten Projekt mittlerweile komplett auf der DIY-Schiene unterwegs. Sowohl “The White Lady” (2019), als auch das überragende “Byron” (2023) erschienen nach vier Alben über Prophecy Productions komplett in Eigenregie. Aus meiner Sicht hat diese Band soviel mehr Potenzial und eigentlich soviel mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung verdient. Ich gehe allerdings davon aus, dass es ein bewusst gewähltes “Schicksal” war und ist. Trotzdem und gerade deshalb meine Frage: Wiesu denn bluss? Gibt es denn niemanden, der Prog-Rock vom Schlage Noekk veröffentlichen möchte und vermarkten kann?
Ich habe keine Idee und auch keine Lust nach jemandem zu suchen, der Noekk eine Business-Plattform bieten könnte. Ich brauche es nicht, es ändert nichts am Wesentlichen für mich. Der „Byron“-Nachfolger ist fertig aufgenommen und wartet auf sein Mix/Mastering, das demnächst passieren wird. Zu einem weiteren Album sind Schlagzeug/Gitarren aufgenommen und wir arbeiten ständig daran weiter.
Wir haben beide einfach Spaß daran, die Verantwortung selbst zu tragen und was es für eine Veröffentlichung braucht, selbst zu erledigen!

Bleiben wir noch bei Noekk. Nach dem Debut “The Water Sprite” war ich vor allem von “The Grimalkin” im Jahr 2006 völlig fasziniert und bin es noch heute. Die Musik so richtig als das zu begreifen und zu fassen, was sie war, konnte ich allerdings erst durch einen Zufall. Wir waren in jener Zeit regelmäßig bei einem Buchhändler, der seine riesige, mit alten Büchern vollgestopfte Scheune in den Sommermonaten einmal im Monat zum Verkauf öffnete. Neben den Büchern ging es genauso um das Event, bei dem geplauscht, gegrillt und draußen im Hof unter einer prächtigen Kastanie gesessen wurde. Und irgendwann lief dann Musik, die mich immer wieder unterschwellig an Noekk erinnerte. Es handelte sich um “Trespass” von Genesis mit Peter Gabriel am Gesang. Das war für mich eine Art Erweckungserlebnis.
Welche Prog-Rock-Bands und -Alben kannst Du empfehlen und/oder sind Dir besonders ans Herz gewachsen. Von welchen Künstlern wurdest Du für Noekk besonders inspiriert?
Das klingt ja nach einer perfekten Szenerie!
Die Liste ist in meinem Fall gefühlt endlos, über die ganzen 70er Helden, die 90er Jahre mit den schwedischen Bands oder aktuell mit Wobbler und besonders Jordsjö aus Norwegen, deren letztes Album „Salighet“ ein Traum ist.
Wir kommen zum Ende. Ich danke Dir ersteinmal recht herzlich, dass Du Dir die Zeit genommen hast. Was liegt 2025 musikalisch noch bei Dir an? Welche Wünsche und Hoffnungen hegst Du für das aktuelle Jahr? Gibt es eine musikalische Veröffentlichung, die Du in diesem Jahr ganz besonders erwartest?
Ich danke Dir!
Es entsteht ein neues Empyrium-Album, ich habe mit Benjamin König ein Projekt namens Sun After Dark gestartet und auf meinen „Solo-Baustellen“ wächst eigentlich ständig neue Musik. Ich freue mich sehr auf das neue Jethro Tull-Werk und möglichst viel Zeit mit Familie/Freunden in 2025!