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Interviews

Von Angst und Hoffnung: Interview mit Daniel Zizek von CEMETERY

Matthias Heilmeier

Ich beschreibe in der Geschichte eine meiner Urängste. Nämlich die, seiner individuellen Freiheit und seines Geistes beraubt zu sein.
Dani Zizek

Von Angst und Hoffnung: Interview mit Daniel Zizek von CEMETERY

Die bayrischen Death Metaller von Cemetery haben ihren neuesten Longplayer der Frage nach dem Sinn des Lebens gewidmet… und des Sterbens. Zwischen „Thoughts on Life… and Death“ und dem Vorgänger „The Last Day On Earth” liegen sechs Jahre und von der damaligen Besetzung ist lediglich Daniel Zizek (Gitarre, Gesang) übriggeblieben. Dani hatte die Band in der zweiten Hälfte der 80er Jahre gegründet, musste sie aber nach vielversprechendem Start Mitte der 90er Jahre zu Grabe tragen. Wieso es zur Wiederbelebung kam und allerhand mehr, verriet uns Dani im Interview.

Was führte 2017 dazu, dass CEMETERY wiederbelebt wurde, und wie kam das damalige transatlantische Line-Up zustande?

Das kam in erster Linie durch die Bestrebungen unseres ehemaligen Gitarristen Roland Weihmayer zustande. Roland ist Anfang der 2000er beruflich nach Los Angeles ausgewandert und lebt seither dort. 2015 kam er mit der Idee auf mich zu, in L.A. eine Band zu gründen, die eben alte CEMETERY-Songs spielt. Zeitgleich fragte er mich auch, ob ich nicht Lust hätte, neues Material zu schreiben. Mir gefiel die Idee, da ich zu der Zeit auch wieder richtig Bock auf Death Metal hatte, und so kam eins zum anderen und wir belebten CEMETERY wieder. Allerdings wollte ich da auch Teil davon sein, wenn ich schon die Songs schreibe, und so entstand das „Transatlantische“ Projekt mit dem wir dann „The Last Day On Earth“ aufnahmen.

Weshalb war ausgerechnet jetzt die Zeit reif für ein Konzeptalbum wie „Thoughts on Life…“?

Wieso es ein Konzeptalbum geworden ist, hat hauptsächlich mit dem Entstehungsprozess der Songs zu tun. Nachdem ich die ersten Ideen ausarbeitete, bemerkte ich, dass sich manche Texte ziemlich ähnelten. Da fiel mir auf, dass dies eine längere Geschichte werden wird. So beschloss ich, eine durchgängige Geschichte zu schreiben. Ich finde Konzeptalben immer beeindruckend, da sich hier jemand wirklich Gedanken zu einem Thema macht. Man hat aber dadurch auch die Möglichkeit, bestimmte musikalische Themen in verschiedenen Variationen darzubieten. Sowas gefällt mir persönlich sehr gut.
Wenn Cemetery schon ein neues Album veröffentlichen, dann soll es bitte schön „besonders“ oder „groß“ sein.

Es sind aber auch politische Themen weltweit, die natürlich ebenfalls Einfluss auf meine Denke haben. Ich finde den Aufstieg von Populisten äußerst bedenklich und teilweise auch beängstigend.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung von „Thoughts on Life…and Death“ spielt keine Rolle, da dieses Thema immer aktuell sein wird. Ich finde es aber durchaus interessant, wie sich die politische Landschaft während der fünf Jahre, in denen „Thoughts…“ entstanden ist, zusehends in diese Richtung zu entwickeln scheint.

Stell unseren Lesern bitte kurz die Geschichte des Protagonisten Jim vor.

Jim ist ein normaler Typ, der seiner Arbeit nachgeht und nach und nach eine Veränderung in der Gesellschaft wahrnimmt. Verursacht durch die Regierung in dem Land, in dem er lebt, die zunehmend totalitäre Züge annimmt. Sie fängt an, die Bevölkerung zu unterdrücken bzw. den Menschen ihre Ideologie aufzudrücken. Wer nicht mitgeht, ist verloren. „Jim“ bin eigentlich ich. Ich beschreibe in der Geschichte eine meiner Urängste. Nämlich die, seiner individuellen Freiheit und seines Geistes beraubt zu sein.

Das Album endet mit dem Tod des Protagonisten. Gibt es für unsere Gesellschaft also keine Hoffnung mehr?

Es gibt immer Hoffnung. Nur nicht für jeden. Es wird immer vermeintliche Heilsbringer geben, die genug Unterstützer um sich sammeln. Es werden Probleme hochgepusht, die keine sind und die Unzufriedenen reißen uns alle in den Abgrund. Ich sehe es so: umso einfältiger ein Mensch ist, umso mehr verlangt es ihn nach einem starken Führer. Irgendwann ist der Kipppunkt erreicht und die Dinge nehmen ihren Lauf. Dann dauert es wieder eine Generation, um aus dem Dilemma rauszukommen und der Kreislauf beginnt von vorn. Da dies aber weltweit in verschiedenen Ländern zu verschieden Zeitperioden geschieht, haben wir sozusagen einen Dauerzustand.

Keine Hoffnung gab es Mitte der 90er Jahre, als drohende juristische Streitereien mit der insolventen Plattenfirma WEST VIRGINIA RECORDS zum Aus von CEMETERY führten. Aus den Überresten formierten sich AEONS END, bei denen mit Gaby Weihmayer eine Sängerin mit an Bord war. Hätte sich ein gesangliches Duett bei einem Konzeptalbum wie „Thoughts on Life…“ nicht auch angeboten?

Gaby wäre mit Sicherheit dabei gewesen, da wir nach wie vor Kontakt zueinander haben. Gaby ist zum Beispiel die Sängerin der Thrash-Combo RED TO GREY in der auch unser Bassist mitspielt. Die Idee zu einem Duett stand aber zu keinem Zeitpunkt auf dem Zettel. Ich bin da überhaupt kein Freund davon. Ohne jemandem auf den Schlips zu treten: Ich stelle mir da immer einen bärtigen Typen vor, der finster dreinblickend seine Message den Leuten entgegen growlt und zu einem gewissen Moment marschiert die Sängerin (wahlweise in wallendem Gewand oder engem Korsett…) auf, um sich durch sämtliche Tonleitern zu quälen…nö nö…lol. Okay, man kann sowas mit Sicherheit auch weniger klischeehaft gestalten. Aber auch wenn CEMETERY musikalisch durchaus in anderen Gefilden wildert, werden wir immer eine klassische Death Metal Band bleiben. Das Ganze sollte ja auch live umsetzbar sein. Ich hatte aber tatsächlich mal daran gedacht, den Sprechteil von „Truth A“, von Paul Speckmann einsprechen zu lassen, zu dem ich ein gutes Verhältnis habe und dessen Sprechstimme fast so krass wie seine Growls sind. Ich habe die Idee aber wieder verworfen.

Weshalb war es euch wichtig, neben der digitalen Version des Albums auch ein Digi-Pack zu produzieren? Es ist ja immerhin mit einigem finanziellen Aufwand verbunden.

Ja schon, aber der finanzielle Aufwand für Digi-Packs (anders als bei Vinyl) ist überschaubar. Zudem bin ich halt so ein Old-School-CD-Typ der gerne die Musik physikalisch besitzt und auch mal so ein Booklet in die Hand nimmt. Die digitale Veröffentlichung auf diversen Streaming-Plattformen ist dem Zeitgeist geschuldet. Man hat halt mehr Reichweite, was sich aber finanziell überhaupt nicht rechnet bei einer Band unserer Größe. Kurz gesagt: Mit dem Verkauf einer einzigen CD nehmen wir ungefähr mehr ein als mit drei Monaten Streaming. Es ist aber nicht nur das Finanzielle. Wenn man schon etwas veröffentlicht, kann man auch einen gewissen Aufwand dafür treiben.

Nachdem ihr in den 90ern einen vielversprechenden Start hattet, war das vorläufige Ende der Band ja nicht so schön. 2014, also etwa 10 Jahre nach dem Ende der Band, wurde „Enter The Gates“ schließlich nochmal über Memento Mori veröffentlicht. Wie kam es dazu und sind auf der VÖ die Aufnahmen für das ursprünglich geplante Album zu hören oder die des Demos?

Roland und ich hatten 2014 eine Facebook-Seite für CEMETERY erstellt. Eigentlich nur gedacht als „Erinnerung an…“. Nur wenige Wochen später hat sich Raul von Memento Mori gemeldet und gefragt, ob er unseren damaligen kompletten Back-Katalog als Doppel-CD veröffentlichen darf. Wir waren natürlich begeistert! Die Doppel-CD besteht aus den Aufnahmen für unser damaliges Demo, welches 1991 erschien, zwei unveröffentlichten Versionen von Songs, die eigentlich für eine Single im Jahr 1992 gedacht waren, und den kompletten Albumaufnahmen von 1993 für „Enter the Gate“. Was man hier hören kann, sind tatsächlich die fertigen Aufnahmen.
In Ermangelung der originalen Master-Tapes mussten wir aber auf alte Kassetten zurückgreifen, was man dem Memento Mori-Release auch anhört.

Für mich persönlich wurde „Enter the Gate“ aber erst 2019 so richtig veröffentlicht, als Roland doch noch das originale DAT-Tape fand und ich die Songs, diesmal in der ursprünglich gedachten Reihenfolge, nochmal mastern konnte. Die CD erschien seinerzeit als Self-Release.

Ihr spielt selten live. Was muss man euch denn bieten, damit ihr ein Angebot annehmt?

Dass wir so selten spielen, hat eher was damit zu tun, dass wir gerne von den Veranstaltern übersehen werden bzw. wir uns nicht selbst genug darum kümmern. Es liegt vor allem nicht in meiner Natur, Hunderte an Bewerbungen rauszuschicken. Dabei finde ich, dass wir live mindestens genauso gut, wenn nicht besser, als auf Platte sind. Es gibt einfach Unmengen an Bands und jede will sich live präsentieren. Was auch ihr gutes Recht ist. Dadurch ist der Markt aber ziemlich überschwemmt und man geht leicht unter. Um regelmäßig an größere Events zu kommen, ist es hilfreich, ein gutes Label oder eine starke Booking-Agentur im Rücken zu haben. Das haben wir beides nicht und dadurch ist es halt sehr schwer. Oder man ist als Band einfach so überzeugend, mit großer Fan-Base, dass die Veranstalter nicht daran vorbeikommen. Vermutlich sind wir es nicht.

Dies bedeutet aber auch nicht, dass wir so ausgehungert sind, um wirklich auf jeder Bühne stehen zu müssen. Underground-Spirit hin oder her, und es soll bitte absolut nicht überheblich klingen, aber jedes Mitglied von CEMETERY hat in anderen Formationen (SWEEPING DEATH, RED TO GREY…) schon so häufig gespielt, so oft Equipment geschleppt, öfter lächerliche Gagen kassiert, dass man halt nicht mehr alles mitmacht. Es ist ja auch nicht verkehrt, sich ein wenig rar zu machen. Die spiellosen Perioden kann man zum Beispiel nutzen, um an neuen Songs zu feilen, die sich völlig ohne Zeitdruck entfalten können.

Nenne bitte die drei größten Einflüsse für CEMETERY und vielleicht kannst du auch sagen, wo man diese auf dem Album am ehesten hören kann.

Death Metal der späten 80er, frühen 90er. Das war eine spannende Zeit damals, die ich noch als Teenie miterleben durfte. Der Impact, den die frühen DEATH, MORBID ANGEL, OBITUARY oder auch BATHORY auf mich hatten, hallt immer noch ein wenig nach. Dann 70’s Progressive Rock. Wenn man sich den Spielwitz und die opulenten Arrangements damaliger Bands anhört, so ist das, wie ich finde, bis heute unerreicht geblieben. Ich denke, unser Stil ist ziemlich unique, aber selbstverständlich kann man da das ein oder andere heraushören. Nimm z. B. den Mittelteil von „Thoughts on Death“, der vermutlich ohne Weiteres auf der „Spiritual Healing“ hätte drauf sein können. Dann ist da noch das simple, doomige Riff in „Grief, Anger & Despair“, kurz bevor die Soli losgehen. Da klingen wir ein paar Sekunden lang nach OBITUARY. Für den gesamten, sehr langsamen und melodischen Schlussteil von „Thoughts on Death“ habe ich mich von YES und GENESIS inspirieren lassen. Hör dir mal YES‘ „Awaken“ und GENESIS‘ „Supper’s Ready“ an.
Ich versuche, beim Songwriting so frei wie möglich von Einflüssen zu bleiben. Sofern es eben möglich ist, wenn man viel Musik hört. Wobei ich fast keinen Death Metal höre und mir meine Inspiration woanders suche. Es können auch Eindrücke aus Architektur, Kunst oder der Natur sein,
die ich dann versuche, in unserer Musik wiederzugeben.

Am Ende muss es halt trotzdem ordentlich ballern und Spaß machen!
CEMETERY | Thoughts On Life (Official Music Video)
 
Line Up

Dani Zizek • Guitars, Vocals
Markus Heilmeier • Guitars
Stefan Hendel • Bass
Tobias Kasper • Drums

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