20% der Deutschen haben laut der AOK bereits „Ghosting“ erlebt, d.h. den wortlosen Abbruch von Freundschaften und Beziehungen. Ähnliches könnte mir seitens einiger Redaktionsmitglieder blühen, wenn herauskommt, dass ich TRICK OR TREATS neuestes Werk „Ghosted“ ziemlich gelungen finde.
Als HELLOWEEN Coverband gegründet und mit Bands wie RHAPSODY OF FIRE, SKELETOON und TWILIGHT FORCE verwandt bzw. verschwägert, ist die Marschrichtung der Norditaliener auch auf ihrem achten Studioalbum klar: melodiöser Power Metal der Marke HELLOWEEN & EDGUY. Allerdings kommt die Band mit weniger Bombast aus als die zahlreichen RHAPSODYs oder auch TWILIGHT FORCE, bei denen Allessandro Conti ebenfalls am Mikro steht. Dafür bedient man sich in „Bloodmoon“ schon mal bei Melodien, die man auch von SABATON kennt. Dennoch ist der Song ein Highlight der Scheibe, denn hier wird auch mal gegrowlt und Adrienne Cowan liefert als Gesangspartnerin von Conti in gewohnter Weise ab.
Das titelgebende „Ghosted“ ist ein echter Ohrwurm und „Dance with the Dancing Clown“ erinnert an die schwedischen Bombastmetaller MAJESTICA. Dass Chris Bowes seine Mitarbeit beim Piratensong „Return to Monkey Island” zugesagt hat, wundert nicht. Der Song klingt, als hätte ALESTORM im Studio heimlich einen ihrer Songs in den TRICK OR TREAT Ordner verschoben. Kein schlechter Song, aber für mich passt er nicht ganz ins Gesamtbild. Anders verhält es sich da mit „Polybius“. Wer Gefahr läuft, sich an alten EDGUY Scheiben totzuhören, der findet hier endlich Erlösung und wird u.a. mit einem grandiosen Solo belohnt.
Thematisch haben TRICK OR TREAT natürlich wieder alle möglichen Gruselklassiker (Freitag der 13., Nightmare on Elm Street usw.) herangezogen. Und ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass dem Kollegen Trillmich beim Hören der Scheibe der ein oder andere kalte Schauer den haarigen Rücken hinunterlaufen dürfte. Für mich haben nicht alle Songs das gleiche Level, wirkliche Ausfälle gibt es aber auch nicht. Und wer bis zum abschließenden „Bitter Dreams“ durchhält, der wird mit einem fast achtminütigen Rausschmeißer belohnt.
TRICK OR TREAT sind ausgezogen, die Metalwelt das Fürchten zu lehren. Und während der ein oder andere Hartmetaller beim Sound der Band spontan in Schockstarre verfallen wird, dürfte der geneigte Melodic Power Metal Fan die Scheibe von der ersten bis zur letzten Minute abfeiern. Es ist eben wie mit Klosterfrau Melissengeist. Während sich der eine mit dem traditionellen Gebräu den Rücken massieren lässt und gestärkt in den nächsten Tag startet, kippt der andere das Zeug lieber auf Ex in sich hinein und wundert sich anschließend, dass Sodbrennen, Übelkeit und Brechreiz auftreten.