Die Apokalyptischen Reiter werden 30 und zelebrieren dieses Jubiläum mit einer musikalischen Box, die erstmals im Eigenverlag erscheint. Die Box umfasst ein Vierfach-Vinyl, welches konzeptionell in “Der Freiheit Vaterland”, “Rache an der Wirklichkeit”, “Die Schatzinsel” und “Die Wanderer” unterteilt ist. Der Opener umfasst die elfmintütige Reiter-Hymne der imaginären Reiter-Republik. “Rache an der Wirklichkeit” ist eine EP, die vier weitere neue Studio-Tracks enthält. “Die Schatzinsel” enthält bisher Unveröffentlichtes aus dem Band-Archiv, u. a. einen Remix, Akustik- und Live-Versionen, während “Die Wanderer” einen Akustik-Life-Set enthält.
Insgesamt rund 90 Minuten Material. Die Artworks der vier Tonträger bilden das Spielbrett für das “Wissen, Action, Reitermania”-Spiel, in dem man sich als Reitermaniac beweisen kann. Gespielt wird zu viert mit apokalyptischen Zinnfiguren. Oben drauf erhält man noch einen Reise-Pass für die Freie Republik Reitermania inkl. Verfassung sowie eine Urkunde und 5 Reitermaniacs, die als Währung auf den Headliner-Shows der Reiter einlösbar sind. Soviel zum Rahmen und Gesamtpaket, aber nun zur Musik:
Die Apokalyptischen Reiter sind zweifelsfrei eine der herausragendsten, prägendsten und schillernsten Bands der deutschen Metal-Szene in den vergangenen Dekaden. Dabei sind die Weimarer Paradiesvögel, die aus der Ursuppe von Disaster K.F.W. hervorgegangen sind, immer konsequent und ohne Rücksicht auf Verluste ihren eigenen Weg gegangen. Egal ob Grindcore, Klavier, bombastische Keyboards, Death- und Black Metal-Roots, Pop-Songs, Folk- und Schlager-Einflüsse, die Reiter haben es durchgezogen. Zwischen Pathos, Kitsch, Selbstbeweihräucherung und -ironie – sowohl auf den 11 Longplayern, wie auch bei den Live-Konzerten wandeln die Reiter seither zwischen Genie und Wahnsinn durch die Szene.
"Soft And Stronger” (1997), “All You Need Is Love” (2000), “Have A Nice Trip” (2003), “Riders On The Storm” (2006), “Moral und Wahnsinn” (2011) und zuletzt “Tief.Tiefer” (2014) sind für mich entweder persönliche Klassiker, die bis heute Maßstäbe setzen oder Alben, auf denen es Die Apokalyptischen Reiter immer wieder schafften, sich neu zu definieren. Zur Wahrheit gehört für mich allerdings auch, dass die Reiter dazwischen auch immer wieder Alben veröffentlicht haben, die zwar gut bis okay waren und die ich nicht aus meiner Sammlung schmeißen wollen würde, aber die trotz meiner innigen Beziehung zur Band nicht essenziell sind. Den Tiefpunkt markierte für mich “Der rote Reiter” (2016), während “Wilde Kinder” (2022) zuletzt wieder in die richtige Richtung ging. Allerdings markierte das bisher letzte offizielle Album der Band eine Zäsur. Gründungsmitglied Dr. Pest räumte den Platz hinter den Keys, es folgte der Ausstieg von Ausnahme-Trommler Sir. G. (ersetzte Ur-Trommler Skelleton nach “Allegro Barbaro” (1999)) und auch Ady, immerhin seit “Moral und Wahnsinn” an der Gitarre, verließ die Band. Keine Frage, dass sich die verbliebenen Reitermaniacs Fuchs und Volk-Man vermutlich erstmal schütteln und neu orientieren mussten.
“Freie Republik Reitermania” ist somit Neuanfang und Retrospektive zugleich. Zu Pferde hat man in Titus Maximus an der Gitarre und den Keys sowie Rohgarr am Schlagzeug zwei neue loyale Mitstreiter gefunden. Dafür hat man sich vom langjährigen Label Nuclear Blast getrennt und sich dazu entschlossen, die aufwändige Veröffentlichung in Eigenregie anzugehen.
Was die sechs neuen Lieder der Reiter angeht, die auf dem ersten Tonträger “Der Freiheit Vaterland” und auf “Rache an der Wirklichkeit” verteilt sind, fällt das Fazit geteilt aus. Der Titeltrack fungiert als Hymne der ausgerufenen Reiter-Republik und ist ein elfminütiges Epos, das alle Trademarks, die die Apokalyptischen Reiter in den letzten zwei Dekaden ausgemacht haben, in beeindruckender Weise bündelt: Härte, Heavyness, Pathos, Melodien, Bombast, brachiales Schlagzeug, der variable Gesang, das Gebrüll und Gekeife von Fuchs und Volk-Man. “Rache an der Wirklichkeit” nimmt mich beim Text etwas mehr mit und ist ein groovender Brecher, der sich in jeder Minute Spielzeit mehr intensiviert und wächst. Es folgt mit “Weiße Pferde” ein für die Reiter so typischer Ritt auf der Rasierklinge zwischen Kitsch und Pathos. Eine kraftvolle Powerballade, die nicht nur in Verbindung mit den Bildern des überragenden Musikvideos im Kopf bleibt. Melancholie und Sehnsucht – bittersüß, vertont, das ist und bleibt Kernkompetenz der Apokalyptischen Reiter. Danach geht es deutlich seichter und mit mehr positiven Vibes nach vorne. Sowohl “Ich bin Dein Freund” und “Danke” hätten beide prima auf die von mir weniger geschätzten “Samurai” (2004) oder “Licht” (2008) gepasst. Dazwischen beschwöhrt “Wir sind, weil ihr seid” wieder etwas episch und stampfend die Verbindung zwischen den Reitern und ihrer treuen Fanbase, die ohne Frage ganz besonders ist.
Ich bin gespannt, in welche Richtung sich Die Apokalyptischen Reiter auf dem zwölften Album entwickeln werden. Fest steht, dass sich Fuchs und Volk-Man mit Titus Maximus und Rohgarr rein musikalisch zwei absolut versierte Recken an die Seite geholt haben, die sich ohne Brüche in das musikalische Gefüge integriert haben und mit der einen oder anderen Finesse bei den neuen Songs zu überzeugen wissen.
“Die Schatzinsel” sowie “Die Wanderer” sind aus meiner Sicht Bonus für Komplettisten sowie die Diehard-Reitermaniacs. “Die Sonne scheint” ist im Original schon keiner meiner Faves, der Elektro-/Dance-Remix verzichtbar, “Erhelle meine Seele” erreicht in der Akustik-Version auch nicht annähernd die Intensität des Originals. Bei “Die Wanderer” handelt es sich um einen kompletten Live-Akustik-Set aus dem Jahr 2015, mitgeschnitten im F-Haus Jena, bei dem insbesondere die Cover von “Ghostriders In The Sky” sowie “Dschinghis Khan” für mich herausstechen. Darüber hinaus haben die Reiter einfach mit “Tiefer” (2014) unplugged-akustisch Highlight bereits abgeliefert, genauso wie “Tobsucht” (2008) live für mich das Opus magnum ist.
“Freie Republik Reitermania” ist auf 500 Einheiten limitiert und ist ausschließlich über den Fanshop der Apokalyptischen Reiter erhältlich.
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